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Mein Trauma - The Ketchup Song

Erinnerst Du dich noch an "The Ketchup Song"?

 

Drei schöne Mädels machen eine mega Party und singen fröhlich:

 

"Aserejé, ja deje tejebe tude jebere

Sebiunouba majabi an de bugui an de buididipí"

 

Dieser Zungenbrecher landet in 2002 auf Platz 1 in den Charts und es wird der Wies'n-Hit des Jahres. Den Modetanz liefern sie gleich dazu. Ganz Europa tanzt mit.

 

Für mich war dieser Song viele Jahre mit einem schrecklichen Erlebnis auf dem Oktoberfest verbunden!

Geld zählen ohne Ende

Während dieser Song wieder und wieder in allen Wies'n-Zelte rauf und runter läuft, sitze ich in meinem Abrechnungsbüro der Käfer Wies'n Schänke und zähle Geld. Schier endlos.  

 

Schon seit 1996 arbeite ich für die Firma Käfer und habe erfolgreich den Unternehmensbereich Käfer Messegastronomie auf dem neuen Messegelände in Riem aufgebaut. Eines der absoluten Highlights in meiner Karriere. Mit den meisten Kolleg*Innen bin ich heute noch stark verbunden.

 

Und schon seit ich in München lebe (1983), träume ich davon einmal auf dem Oktoberfest zu arbeiten. In 2002 ist es so weit. Bei Käfer auf der Messe leitete ich einige Jahre das Abrechnungsbüro. Beste Voraussetzungen, in die Fußstapfen der ehemaligen Buchhalterin, die das Abrechnungsbüro auf der Wies'n viele Jahre leitete, zu treten. 

 

Ich ahnte nicht, das es einer meiner größten Misserfolge wurde. 

Gut vorbereitet, dennoch unterschätzt

Einige Wochen bevor das Oktoberfest begann, fing ich mit den Vorbereitungen an. 

 

Ich bat die Chefin der Käfer Wies'n Schänke um Hilfe. Wir kannten uns von der Eröffnung der Käfer Messegastronomie und verstanden uns gut. Von ihr hatte ich damals auch gelernt, wie man so ein Abrechnungsbüro führt. Deshalb gab es auch nicht so viel zu besprechen, denn wir waren der Meinung dass es fast gleich ist, ob man ein Abrechnungsbüro auf der Wies'n oder auf der Messe führt. 

 

Für weitere Details sollte ich mich an die neue Leiterin der zentralen Buchhaltung wenden. "Ganz hinten auf dem Speicher steht der Karton mit dem ganzen Equipment" sagte sie mir. Ich wühlte mich durch. In einem Meeting über die Schnittstelle vom Wies'n-Abrechnungsbüro zur Buchhaltung sagte sie mir: "Ich will nichts mit der Wies'n zu tun haben. Das war die Voraussetzung dafür, dass ich die Leitung hier in der zentralen Buchhaltung übernehme. Du musst dich also auch um die Verarbeitung aller Belege kümmern und die Abrechnungen kontrollieren." 

 

Ich hatte keine Ahnung wie viel Arbeit das war. Und bin erst recht keine Buchhalterin.

 

Aber wir fanden eine scheinbar gute Lösung:

Tagsüber war das Wies'n-Abrechnungsbüro besetzt mit 3 Zählerinnen, eine davon eine sehr erfahrene Leiterin des Abrechnungsbüros der Käfer Museumsgastronomie. Sie vertrat mich bis 19 h. Abends ab 19 h kamen 1 Zählerin und ich dazu.

 

Und wenn ich erst ab 19 h auf der Wies'n sein muss, dann hab ich ja tagsüber Zeit, mich in in der Käfer Zentral in Parsdorf um die Nachbereitung der Abrechnung zu kümmern. 

Das ist Wahnsinn, hölle, hölle, hölle

Am Tag vor der Wies'n räume ich voller Motivation unser Büro ein, briefe mein Team und den Sicherheitsdienst.

 

Das Büro ist eine Mini-Kammer mit gefühlten 9 sqm. Darin ein Counter mit 4 engen "Schalter-Plätzen", ein Mini-Schreibtisch und ein Stuhl für mich und ein großer Tresor. Der etwas in den Jahren gekommene Monster-Rechner des Kassensystems wohnt übrigens auch in dieser Mini-Kammer. Wir sind also eine WG.

 

Am Samstag, 21. September ist Anstich. Natürlich bin ich vom Anfang an dabei! Um 11 h stehe ich auf der Matte meines "Wohnzimmers" für die nächsten 16 Tage. Den ganzen Tag kommen Kellner*Innen um ihr Geld abzugeben. Zum einen damit sie nicht so viel Geld bei sich tragen müssen, zum anderen, damit wir nachts nicht mehr so viel zählen müssen. Der Rechner gibt übrigens sehr viel mehr Hitze ab als uns allen lieb ist. Uns läuft der Schweiß 'runter, nicht nur vom vielen zählen...

 

Scheinbar unendlich ist die Menge an Geld, die gezählt und gegengezählt werden muss. Es ist schon 2 h nachts. Die Kellner*Innen und Teamleiter*Innen sind längst weg. Vor mir sind immer noch Berge mit Geld und Belegen. 

 

Um 3 h holt der Sicherheitsdienst das Bargeld ab, das erleichtert. Doch ich vergnüge mich noch eine Weile mit den Belegen und die Rechenmaschine. Hab nicht wirklich einen Überblick. Shit, was ist hier so anders als auf der Messe?

 

Irgendwann fahre ich nach Parsdorf um eine ganze Reisetasche mit Abrechnungen und Belegen in die zentrale Buchhaltung zu bringen. Kurz nach 5 h ruft mein Mann mich an und fragt besorgt: "Wo bist Du?". "Ich komme jetzt!" antworte ich erschöpft. Ich schlafe schlecht und wache nach 3 Stunden wieder auf mit einem mulmigen Gefühl. Ich fahre gleich nach Parsdorf, um mich um die Verarbeitung aller Belege zu kümmern und die Abrechnungen zu kontrollieren.

 

Eigentlich kein Problem. Das habe ich ja schon so oft auf der Messe gemacht. Bis auf wenigen Ausnahmen hat es immer gestimmt. Aber hier ist vom Anfang der Wurm drin. Und ich finde den oder die Fehler nicht. Ich rechne den ganzen Tag hin und her. Abends um 19 h bin ich wieder auf der Wies'n. Das gleiche in grün.

 

Und ständig höre ich diesen fucking Ketchup Song...

 

"Aserejé, ja deje tejebe tude jebere

Sebiunouba majabi an de bugui an de buididipí"

 

Am dritten Tag breche gleich nach dem Aufwachen - diesmal nach 5 Stunden Schlaf - in Tränen aus. Mein Mann ist für mich da. Ich bin komplett verzweifelt, habe Angst und mir machen die vierstellige Kassendifferenzen große Sorgen. 

 

"Du musst mit deinem Vorgesetzten reden!" sagt mein Mann mir. Und versichert: "Das Geld kann nicht weg sein. Es kann nur ein Fehler sein." 

In guten und in schlechten Zeiten

Mir geht es richtig schlecht. Ich rede mit meinem Vorgesetzten, und alles nimmt seinen Lauf.

 

In solchen Situationen trennt sich der Spreu vom Weizen. Ich erlebe solche und solche Kolleg*Innen:

  • Die einen lassen mich fallen wie eine heiße Kartoffel. Wenn Du solche Freunde hast, brauchst Du wirklich keine Feinde mehr. 
  • Die anderen unterstützen mich. Opfern ihren freien Tag um mit mir zusammen irgendwelche Gutscheine zu zählen, um den Fehler zu finden. Begleiten mich zu meiner Hölle, einfach um mich mental zu unterstützen. Verschieben ihre eigentliche Arbeit und helfen mir bis zum letzten Wies'n-Tag wo sie können. Das sind echte Kolleg*Innen und Freunde für's Leben! Dafür bin ich heute noch dankbar.

Am Montag nach der Wies'n wache ich überglücklich auf.  Das Drama ist vorbei! Nie wieder!

 

Ich verbringe noch einige Tage im Büro um alles gut abzuschließen. Fast alle Differenzen lösen sich auf. Am Ende fehlen  ca. € 1.000. Käfer und ich übernehmen beide die Hälfte. Ehrensache.

 

Viel länger dauerte es bis ich meinen Misserfolg verstand.

 

Lange suchte ich nach Schuldigen. Die vielen Arbeitsstunden an 16 Tagen am Stück unter suboptimalen ergonomischen Bedingungen waren wunderbare Ausreden, um mein Versagen zu erklären. Mit der Zeit bin ich weiser geworden und heute bin ich überzeugt:

 

Ich habe den Job unterschätzt und mich überschätzt.

 

Meine vier wichtigsten Learnings:

  • Durch die Selbstüberschätzung lernte ich schmerzhaft meine Grenzen kennen.
  • Wirklich gute Kolleg*Innen sind da, in guten und in schlechten Zeiten.
  • Wer Verantwortung abgeben will, muss erst die Hausaufgaben machen, um zu verhindern, dass der andere ins offene Messer rennt. Führung ist Service!
  • Rosinen rauspicken ist nicht. Einzelne Bereiche, die ich nicht mag, kann ich nicht ausschließen.

Es war wirklich ein traumatisches Erlebnis:

 

Geschlagene 5 Jahre habe ich einen großen Bogen um die Wies'n gemacht. Und wenn ich  "The Ketchup Song" im Radio hörte, stellten sich meine sämtliche Nackenhaare auf, und der Film von meinem Wies'n-Einsatz spielte sich wieder ab:

 

"Aserejé, ja deje tejebe tude jebere

Sebiunouba majabi an de bugui an de buididipí"

 

Inzwischen gehe ich wieder gerne zum Feiern aufs Oktoberfest und der Ketchup Song verdirbt mir nicht mehr die Laune. Schau mal hier, wie lustig das alberne Modetänzchen zum Ketchup Song nach ein paar Wies'n-Massen auf dem Oktoberfest aussieht: 

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